Warum hört man hier und da immer wieder einmal den Satz: Gut, dass Olaf Scholz der neue Bundeskanzler wird. So ein Satz, dem ein Gefühl von Vertrauen und sogar Entspannung vorausgeht. Selbst bei denen die Scholz nicht gewählt haben. Sein Wahlkampf war kontinuierlich, beständig und der Zeit angemessen, innovativ eher nicht. Warum viele ihm nun zutrauen das Land zu regieren und warum Olaf Scholz als Minimalist unter den Rednern bezeichnet werden kann, darum soll es im heutigen Artikel gehen.
Dialekt
Der Hamburger Jurist, ehemaliger Bürgermeister, Senator dieser Stadt an der Alster bringt in seiner klaren, hochsprachlichen Aussprache immer mal wieder ein bisschen Norddeutschland in unser Ohr. So ist der "Weg" plötzlich ein "Wech". Dialekt steht grundsätzlich für Zugehörigkeit, eben zu wissen, woher man kommt. Scholz Dialekt und damit seine Herkunft, die er nicht versteckt, ist also ein Vertrauensbonus nicht nur für Norddeutsche, die sich und ihre eigene Biographie darin wiedergespiegelt sehen, sondern auch für alle, die den Norden, genauer Hamburg schätzen.
Stimmfarbe
Stimmfarbe, also der akustische Fingerabdruck, liegt bei Olaf Scholz in der doch eher hellen Mittelfrequenz. Früher und das Früher ist noch gar nicht so lange her, stand Mann mit heller Stimme unter dem Verdacht nicht durchsetzungsstark genug zu sein. Grund: Der dunklere Brustton wirkt auf die Meisten souverän und beruhigend. Ein Klang an dem man sich einfach anlehnen kann. Heutzutage erleben wir dunkle Bruststimmen punktuell als zu raumgreifend bis schwer, fast polterig. Stimmfarben sind mitunter auch Mode. In den letzten Monaten haben wir viele Beschränkungen durch die epidemische Lage erlebt. Der Wunsch nach Offenheit, Frische, ja Freiheit ist in diesem Kontext nachvollziehbar. Und genau das ermöglicht die helle Frequenz mit einer schnelleren Schwingung der Schallwelle. Sie macht uns wach und kann sich sogar etwas mütterlich anfühlen, da die meisten Frauen in diesem Frequenzbereich sprechen.
Stimmführung
Warum wollen wir nun Olaf Scholz unser Land anvertrauen? Zwei Aspekte spielen hier neben den gerade schon beschriebenen Ressourcen Dialekt und helle Stimmfarbe eine große Rolle. Erstens. Die Art seiner Stimmführung, also wie er einen Satz klanglich färbt und was das in uns auslöst. Zweitens: Seine wirklich feine, gut ausgebildete Rhetorik. In Sachen Stimmführung startet er mit seinem Gedanken in der hellen, frischen Mittelfrequenz, macht uns also wach, um seinen Inhalt dann in die Brustresonanz, also in die Ruhe und Souveränität zu führen. Damit nimmt er uns buchstäblich an die Hand, seinen Gedanken EMOTIONAL mit zu Ende zu denken. Emotional ist hier das Zauberwort. Denn bis zu 92% lesen wir unbewußt die non verbale Kommunikation wie Stimmfarbe, Körpersprache, Sprechtempo aus, um uns zu orientieren, ob wir dem anderen vertrauen können oder nicht. Diese Art der Stimmführung, klanglich von hoch zu tief, erzeugt in uns das Bild, derjenige ist beständig, tatkräftig und hat die Erfahrung, etwas zu beginnen und wirklich zu Ende zu bringen.
Rhetorik
Seine zweite herausstechende Kompetenz ist die Rhetorik. Er verspricht sich eigentlich nie, argumentiert auf Punkt mit zusammenhängenden Sätzen, denen man gut folgen kann. Die Worte sind nicht kompliziert, weder zu einfach, noch zu abstrakt. Somit erreicht er viele unterschiedliche Gesellschaftschichten. Sollte es doch etwas frontaler in der Politik werden, dann kommt auch mal ein salopper, einfacher Satz mit einem populären Wort aus ihm. Fast ein wenig erschreckend, da dies einen Kontrast zu seiner sonstigen, besonnenen Rhetorik darstellt.
Körpersprache
Seine Körpersprache entgegen wirkt auf den ersten Blick stabil und gut geführt. Bedeutet, dass er beim Sprechen die Mimik und vor allem die Gestik aufeinander abgestimmt einsetzt. Auch er verfällt immer wieder in die "Merkelraute". Eine Gestik mit den Händen, die Klarheit und Konzentration darstellt. Auf den zweiten Blick erkennt man jedoch im gesamten Körper eine gewisse Nervosität. Vor allem zu Beginn eines Interviews, eines Podiumsgespräches oder Rede. So wechselt er zu oft im Stehen ohne scheinbar direkten Bezug sein Stand- und Spielbein. Er verlagert sein Gleichgewicht beziehungsweise "arbeitet seine Nervosität durch Bewegung ab". Läuft die Rede entspannt, braucht er dieses Pendeln von einem zum anderen Bein nicht mehr. Das Gleiche passiert, wenn er auf einem drehbaren Stuhl sitzt. Er bewegt diesen immer wieder hin und her, während sein Sprechen in der besonnenen, klar gedachten Weise stattfindet. Je nach Fragestellung kann dadurch abgelesen werden, welche Anspannung in ihm betreffend dem Inhalt vorhanden ist.
Minimalist
Olaf Scholz macht "aktive Zuhören" erfahrbar. Stellt jemand eine Frage, dann schaut er denjenigen an, antwortet ohne Versprecher mit einer gut geführten Stimmmodulation. Es ist fast so, als ob man ihm beim Sprechen, gleichzeitig das Denken ansehen könnte. Diese Durchlässigkeit zwischen Denken und Sprechen ergibt den Eindruck, dass er genau zugehört hat, was sein Gegenüber ihm mitteilen wollte. Er zerlegt dann seine Inhalte logisch in Einzelteile und bereitet die Antwort so auf, dass es weder abstrakt noch unkonkret wird, sondern hinter jeder Antwort eine klare Haltung zum Vorschein kommt. Warum kann das dann unterkühlt wirken? Manche beschreiben ihn auch als wenig emotional, zu pragmatisch, blass in der Wirkung. Dieser Eindruck kann entstehen, wenn Stimmführung zwar sehr gekonnt eingesetzt wird, aber immer ähnlich ist. Wenn es keine Versprecher gibt und damit keine "Ecken und Kanten", die uns als Mensch auch unperfekt zeigen.
Mit seinem klaren, rationalem Denken argumentiert er eben sehr detailliert und präzise wie ein Jurist. Auch wenn dies nicht emotional durch lebendige, auch ungeordnete Stimmfarben ausgedrückt wird, ist diese Zerlegung von Themen emotional, weil es Verbindung durch die Klarheit der Details zum Gegenüber schafft. Dieser minimale, aber sehr gekonnte Sprechgestus will Brücken bauen.
Wir haben gerade diese Zeit der großen gesellschaftlichen, politischen und damit auch persönlichen Veränderungen. Wenn jemand da die Fähigkeit besitzt, so wie Olaf Scholz Brücken zu bauen, dann kann das nur von Vorteil sein. Für diese Brücken muss natürlich dann auch Verantwortung übernommen werden. Das wird sich jedoch erst zeigen müssen. Und hoffentlich dann besser als im CumEx Skandal.
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