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Starke Redner #2

Rhetorisch ist Christian Lindern schon seit langem auf dem Olymp der guten Redner aufgestiegen und wurde in der jüngsten Vergangenheit zum zweiten Mal vom Verband der Redenschreiber deutscher Sprache (VRdS) als bester Redner ausgezeichnet. Was seine Stimme über ihn verrät, über ihn den neuen Finanzminister, das schauen wir uns in diesem Artikel in der Reihe „Gute Redner“ genauer an.

In Sachen Lindner gibt es in der Sprechstimme eine Mischung zwischen mehr hellen Frequenzen und ein paar tiefen, dunkleren Tönen. Und jetzt wird es interessant. Je nach Situation verändert er seinen Klang der Stimme, mal heller, mal tiefer. Er analysiert schnell, effizient und ohne Aufhebens die jeweilige Situation in: Wer ist mein Gegenüber? Mein Publikum? Welche Rolle wird von mir erwartet? Und welcher Inhalt ist notwendig, um im Gespräch erfolgreich zu punkten? Diese Analyse drückt sich stimmlich wie körpersprachlich eins zu eins, also transparent und damit sichtbar und spürbar für das Gegenüber in verschiedene Stimmfarben und Gesten aus. Daraus gelingt ihm in unterschiedlichsten Gesprächssituationen ein persönliches, argumentatives, kooperatives oder auch humorvolles Gespräch. Kurz: Beziehungsaufbau, das Vertrauen erzeugt. Wer also mit Christian Linder spricht, unterhält sich mit jemanden, der nicht nur die Inhalte wahrnimmt, sondern auch den Antrieb, die jeweilige Emotion des Gegenübers.

 

Dazu zwei Beispiele:

1. BEHARRLICHKEIT IM BUNDESTAG

Mit „Werte Kollegen…“ und einem tonalen Paukenschlag beginnt er häufig seine Reden. Er drückt die Luft durch seine Stimmbänder, die dann einen starken Brustton erzeugen. Dabei schaut er die Kolleginnen und Kollegen nicht an, sondern sortiert seine Blätter auf dem Pult. Er holt sich also seinen Fokus einzig und allein durch die Stimmgewalt der Bruststimme. Die Stimme in dieser Art zu erheben, lässt jeden aufhorchen und ist evolutionär bedingt...

 

Ein Gorilla zum Beispiel schlägt auf seinen Brustkorb, was er übrigens als Hauptelement in seiner Kommunikation einsetzt. Bevor überhaupt gekämpft wird, passiert daher lange nichts, außer in unterschiedlichen Varianten eben auf den Brustkorb zu trommeln und in verschiedenen Dringlichkeitsstufen zu brüllen. Sich seinen Raum zu nehmen und diesen auch zu behaupten, hat also viele Schattierungen.

 

...Zurück zu Christian Lindner. Schallwellen sind körperlich. Wenn der Auftakt also über die Bruststimme  ein Donnerschlag für die Ohren ist, dann erzählt dies zu Beginn seiner Rede: „Achtung, ich bin hier und dieser Tatsache kannst du dich Zuhörer nicht entziehen.“ Nach diesem selbstbewussten Start wechselt Lindner meist in seine gewohnte helle Frequenz, die im Hörer ebenfalls Spannung erzeugt. Nicht nur, weil er rhetorisch gut mit Punkten, Pausen, Interpunktion im allgemeinen umgehen kann, sondern, weil er grundsätzlich auch in seiner eher hellen Sprechstimme mit einem hohen Einsatz an Luft durch seine Stimmbänder spricht. Die Stimmbänder ziehen sich dadurch ein wenig mehr in die Länge als sie müssten.  Das klingt in den Ohren der Zuhörer druckvoll, in der Gesamtwirkung Christian Lindners als Politiker erzeugt dies jedoch Souveränität. Wieder wird unbewußt suggeriert: „Ich bin da! Und auch wenn du auf dein Handy guckst, werter Kollege, ich bleibe hier mit meinen Inhalten und Themen und werde solange meine Stimme erheben bis sie von ihrem Handy aufschauen und mir und meinen Themen zuhören werden!“ Beharrlichkeit spricht aus dieser Stimmnutzung. Jemand, der etwas will. 

 

Von der Beharrlichkeit in seinem Sprechgestus schauen wir uns nun seine Empathiefähigkeit an und wie sich diese konkret in der Stimme bemerkbar macht.

2. EMPATHIE BEI LOGO

Die Kindersendung LOGO lud zum Bundestagswahlkampf Politiker ein und stellte ihnen persönliche Fragen, so wie nur Kinder sie stellen können. Das ca. 8jährige Mädchen schaute Christian Lindner aufmerksam an. Schlagfertig stellte sie mit einer fordernden Kinderstimme klar, wer die Moderatorin ist. Eigentlich Lindners Sprachstil, den er jedoch der jungen Moderatorin überließ. In entspannter, fast eingesunkenen Haltung auf dem Sessel begegnete er den Fragen des Kindes mit einer ungewöhnlich sanften Stimme. Er richtete sich emphatisch auf das Kind ein. Wenn es nicht um persönliche Vorlieben, sondern konkretere Inhalte seines Wahlkampfes ging, veränderte sich jedoch die Stimme wieder in die souveräne, helle Stimme, die sich dann eher dem Inhalt verschreibt als der Zugewandtheit der jungen Moderatorin gegenüber. Waren die Fragen persönlicher oder auch spielerisch mit Reimen, reagierte er wieder empathisch und wandelbar auf seine Gesprächpartnerin mit einer sanften Stimme mit leichten knarrenden Störgeräuschen. Knarrenden Störgeräuschen?

 

"Knarzen" in der Stimme passiert, wenn grundsätzlich zu viel Luft beim Sprechen allgemein eingesetzt wird. Kommt der Sprecher dann in eine entspannte Situation wie Lindner bei LOGO, ist zu bemerken, das sich der Körper zu schnell entspannt und dadurch unregelmäßig Luft durch die Stimmbänder strömt. Ein "knarziges" Geräusch entsteht dann meist am Ende des Satzes, wenn die Stimmbänder wie erschlaffen. Das erzählt von Erschöpfung, wenn die Stimme dauerhaft zu sehr beansprucht wurde. 

DER MIX AUS EMPATHIE & BEHARRLICHKEIT

Christian Lindner beherrscht also das Talent, Emotionen und Gedanken durch verschiedene Stimmfarben hörbar für sein Gegenüber auszudrücken. Dafür braucht es einen sportiven, agilen Körper und eine innere positiv-konstruktive Einstellung. Das Sportive, zum einen der Gedanken des "Fair Plays", aber auch das Körperliche durch eine ausgeglichene, gute Muskelspannung ist Christian Lindners Repertoire. Während sich manche Redner am Pult, am Blatt Papier, an sich selbst festhalten, tigert er, jedoch nicht unruhig, sondern selbstbestimmt vor dem Pult umher. Will er jemanden ansprechen, dreht er sich mit dem ganzen Körper direkt zu ihm. Will er sein Argument zu jemanden Bestimmten senden, bleibt er beharrlich mit dem Blick bei der Person. Will er seine Argumente durchschlagener nicht nur rhetorisch setzen, dann wird mit dem rechten Arm mit klarer auf und ab Bewegung gestikuliert und das Argument gesetzt. Seine Körpersprache ist schnell und exakt mit dem Inhalt verbunden, mit seiner Stimmgebung und mit seiner Rhetorik. Lindner wartet nicht. Lindner nimmt sich wie gesagt seinen Raum, ob das Gegenüber das nun hören möchte oder nicht. Er wäre aber kein guter Redner, wenn die Beharrlichkeit, und das ist eben der ausschlaggebende Punkt, sich nicht auf die Situation, auf das Gegenüber agil und empathisch eingestellt hätte. Dann wäre Beharrlichkeit nur plump.

FAZIT

Interessant wird die Rollenfindung sein, die er jetzt durchlebt. Die Opposition hat er mit Agilität, die aus Beharrlichkeit und Empathie besteht, gut gemeistert. Hier musste er stimmlich sein Gegenüber fordern, schnell und wandelbar sein, damit man ihm nicht nur zuhört, sondern sein Wort Gewicht bekommt. Doch zu regieren, bedeutet nicht Opposition, sondern sein Handeln verantworteten. Hier braucht es keine druckvolle Luft, sondern einen langen Atem, eine gewisse Besonnenheit. Wie Christian Lindner in den kommenden Jahren diese Rolle ausfüllen wird, ist daher eine der spannendsten Aufgaben für Rhetoriker und Stimmanalysten zu beobachten und zu beschreiben. Denn Lindner ist der Agile unter den Rednern, der sich an Situationen und Menschen anpassen kann ohne sich und seine Themen selbst zu verlieren. Wenn er also auf das eingeht, was gerade ist, hören wir in seiner Stimme auch immer ein bißchen, worum es wirklich  hinter dem Inhalt geht. Darauf dürfen wir gespannt sein. 

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